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„Ich wollte etwas anders machen“
Sabine Kauffmann Foto

Sabine Kauffmann ist Geschäftsführerin des bio verlags, der einzige Verlag Deutschlands, der vollständig in der Hand der Mitarbeitenden ist. Das von ihr im Jahr 1980 mitgegründete Haus hat sich auf Magazine spezialisiert, die über nachhaltige Produkte und aktuelle Themen rund um einen zukunftsfähigen Lebensstil informieren – mit dem Ziel, die Welt auf mehreren Wegen besser zu machen.

Die meisten jungen Menschen, die ein ökonomisch orientiertes Studium absolvieren, wollen in ein angesehenes Unternehmen einsteigen, Karriere machen, Geld verdienen. Sabine Kauffmann wollte etwas ganz anderes. Eine herkömmliche Karriere interessierte die angehende Wirtschaftsingenieurin Maschinenbau und einen kleinen Kreis von Mitstudierenden, mit denen sie sich zusammengetan hatte, nicht. Stattdessen setzte die 1979 beginnende zweite Ölkrise das Thema, dem sie sich fortan widmete: Ökologie und Schonung von Ressourcen. Der Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ war damals noch nicht so präsent wie heute, letztlich ging es aber genau darum: „Die Menschen müssen ihr Verhalten ändern, so viel war klar, aber wie, dafür gab es noch keine Ideen. Solche Ideen wollten wir ausfindig machen und verbreiten“, erzählt Sabine Kauffmann.

Alles begann mit einer Pizzeria

Die Gründungsidee war schnell gefunden: einen Verlag aufzumachen und Zeitschriften und Bücher herauszugeben, die über ökologisch relevante Themen informieren. Die Gründer*innen konnten zuvor schon Erfahrungen mit einem eigenen Unternehmen gewinnen und dabei auch etwas Startkapital generieren, denn sie hatten eine Pizzeria im hessischen Babenhausen gepachtet. Knapp zwei Jahre lang wurden belegte Teigfladen gebacken; 1980 folgte die Verlagsgründung. Alle Gründer*innen der eingetragenen GmbH waren gleichberechtigte Gesellschafter. Das erste Produkt: eine Zeitschrift für Ökologie im Alltag. „Da kamen vor allem Leute zu Wort, die spannende Dinge ausprobiert hatten, zum Beispiel einen Lehmofen zu bauen oder Miso herzustellen“, erinnert sich Sabine Kauffmann.

Die Zeitschrift wurde über Bio-Läden verteilt. Aus reinen Verteilern wurden Partner, als der Verlag mit Schrot&Korn den Läden eine Kundenzeitschrift als Kundenbindungsinstrument an die Hand gab, und die Kund*innen (kostenlos) Informationen zu Themen bekamen, die für sie interessant waren. Finanziert wird die Zeitschrift über Anzeigen und auch die Bio-Läden bezahlen für jedes Heft einen kleinen Beitrag.

Damit wurde die Kundenzeitschrift Schrot&Korn zum heute erfolgreichsten Produkt des Verlags. Schwerpunkt des Hefts ist gesunde Ernährung aus ökologisch erzeugten Zutaten, darüber hinaus informiert das Blatt über Nachrichten rund um Nachhaltigkeit und Klimaschutz in Politik und Gesellschaft. „Mit Schrot&Korn wollten wir möglichst viele Leute erreichen, die sich für ökologische Themen interessierten und mit ihrem Konsum etwas verändern wollten“, so Sabine Kauffmann. 1985 ging die Zeitschrift mit 20.000 Exemplaren an den Start, heute werden 900.000 Hefte verteilt, die Kund*innen aus Bio-Läden und -supermärkten in ganz Deutschland mit nach Hause nehmen können. Neben Schrot&Korn gibt der bio verlag zwei weitere Zeitschriften heraus; cosmia informiert speziell zu Naturkosmetikprodukten, BioHandel richtet sich an den Fachhandel.

Der Verlag geht in die Hände der Mitarbeitenden über

Die Orientierung auf ökologisch nachhaltige Produkte und Themen war ein wesentliches Ziel für Sabine Kauffmann und ihrer Mitstreiter*innen, einen sozial und ethisch nachhaltigen Arbeitsplatz zu bieten ein weiteres: Dass die Mitarbeitenden im Verlag mitbestimmen sollten, war von Anfang an klar. „Wir wollten, dass der Verlag und die Mitarbeitenden zusammengehören“, so formuliert es Sabine Kauffmann. Dies geschah informell in gemeinsamen Sitzungen, darüber hinaus erhielten die Mitarbeitenden  ab 1999 auch formal das Angebot, sich finanziell am Verlag zu beteiligen und per Stimmrecht über die Geschicke des Hauses mitbestimmen zu können. Aber auch der Erfolg sollte bei den Beschäftigten ankommen: vor allem über eine Erfolgsbeteiligung für die Mitarbeitenden, zusätzlich über eine Dividende waren und sind die Anteilseigner*innen am Erfolg des Verlags beteiligt.

2011 erfolgte der entscheidende Schritt: Als einer der Gründungsgesellschafter ausstieg, stellte auch Sabine Kauffmann ihre Unternehmensanteile zur Verfügung. „Wir wollten ein neues System aus einem Guss“ sagt sie. So wurde es möglich, den Verlag in Mitarbeiterhand zu übergeben.

Seither gehört der Verlag den Mitarbeitenden, heute sind es insgesamt 75. Sie stellen das Kapital über eine gemeinsame Kommanditgesellschaft zur Verfügung. Wer den Verlag verlässt, erhält den eingezahlten Kapitalanteil zurück. Die Gesellschaftsanteile liegen bei der Aschaffenburger Stiftung natur mensch kultur und der bio verlag Stiftung, die 74,9 Prozent der Stimmrechte innehat. Sie handelt über einen Vorstand und ein Kuratorium, die ausschließlich aus Beschäftigten des bio verlags bestehen. Die Mitbestimmung findet im Alltag vor allem im sogenannten Gesamttreffen statt: Alle wichtigen Entscheidungen werden dort vorgestellt und diskutiert, Feedback ist dabei erwünscht, Änderungen können sich ergeben. „Wir gehen nicht mit fertig ausformulierten Ideen in die Treffen, sondern mit offen gehaltenen Vorschlägen“, sagt Sabine Kauffmann.

„Wir tun das Richtige richtig“, sagt Sabine Kauffmann

Sabine Kauffmann hat als Geschäftsführerin zwar formell ein Vetorecht und könnte so eine juristisch oder unternehmerisch problematische Entscheidung verhindern. Ihr Vetorecht hat sie nach eigenem Bekunden aber noch nie nutzen müssen. Was entschieden wird, werde gemeinsam entschieden: „Ich kann nur Dinge verhindern, habe aber kein Recht, eine Alternative zu dem, was gewollt ist, durchzuziehen.“ In der Gesellschafterversammlung entscheiden die Mitarbeitenden auch über die Entlastung der Geschäftsführerin und könnten sie dort bei Bedarf auch absetzen.

Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit dem Verlagsmodell und ihrem Job ist aber offensichtlich hoch. Es gebe wenig Fluktuation, berichtet die Geschäftsführerin, die Mitarbeitenden seien stolz darauf, Teil des Verlags zu sein. „Wir tun das Richtige richtig“, sagt sie lächelnd. Es gehe nicht nur darum, die Ideen von Öko, Bio und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft zu verbreiten. Die Menschen, die daran mitwirken, sollen auch mitverantwortlich sein. Aber auch wirtschaftlich macht das eingebrachte Kapital der Mitarbeitenden den Verlag unabhängiger. Die Beteiligung ermöglicht „Entscheidungen von besserer Qualität“, so Kauffmann. Außerdem zeitige die Umsetzung von Entscheidungen keine Widerstände, schließlich würden sie gemeinsam getroffen. Natürlich erfordert die Beteiligung auch Aufwand, vor allem Zeit. Ob man das gegeneinander aufrechnen kann und zu welchem Ergebnis man kommt? Sabine Kauffmann weiß es nicht. Für sie gab es aber nur diesen gangbaren Weg.

Auch eine nachhaltige Produktion gehört zur Unternehmensphilosophie

So schonend wie möglich mit Rohstoffen umzugehen, war von Beginn an wichtiges Verlagsziel: Alle Verlagsprodukte werden auf 100-prozentigem Recycling-Papier gedruckt. 2009 entschied sich der bio verlag zudem, seinen gesamten CO2-Ausstoß vom Programm „Stop Climate Change“ erfassen zu lassen und über Kohlenstoffgutschriften zu kompensieren, mit denen Klimaschutzprojekte finanziert werden. Weiter wachsen will der bio verlag auch – obwohl das unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten kontrovers bewertet werden kann, wie Sabine Kauffmann einräumt. „Wir wollen in vernünftigem Maß wachsen, um mehr Leute zu erreichen, die wir zu einem nachhaltigeren Leben ermutigen können, und diese Bilanz dürfte positiv sein“, findet sie. Dabei soll es in Zukunft inhaltlich verstärkt um eine kritische Begleitung des „immer mehr“ gehen, das es eben auch im Öko-Bereich gibt. Außerdem wird der Verlag sein digitales Angebot ausweiten, um gezielt jüngere Menschen zu erreichen.

Über das besondere Modell des bio verlags hat Sabine Kauffmann schon manche Vorträge gehalten. Das Wichtigste: Wer überlegt, Mitarbeitende zu beteiligen, sollte zunächst Transparenz schaffen, sagt sie. „Stellen Sie Unternehmensdaten zur Verfügung und erklären Sie diese; sprechen Sie mit dem Team durch, was sie bedeuten und wie sie sich beeinflussen lassen“, rät die Expertin. Anschließend könnten erste Entscheidungen in die Hände der Mitarbeitenden gelegt werden, parallel dazu ist die Einführung einer Erfolgsbeteiligung möglich. Wie viel des Unternehmens übergeben werden soll, kann danach bestimmt werden.

Nachhaltig denken und handeln, das schreiben sich heute viele Unternehmen auf ihre Fahnen. Sabine Kauffmann lebt diese Philosophie seit fast vier Jahrzehnten. Bereits als Studentin beschloss sie, sich konsequent ökologischen Themen zu verschreiben und darüber hinaus soziale und ethische Nachhaltigkeit in ihrem Unternehmen zu verwirklichen. Abgeschlossen sei dieser Weg nicht: „Wir können immer noch besser werden“, sagt Sabine Kauffmann. 2018 wurde sie von der Stiftung für Ökologie und Demokratie zur „Ökologia“ berufen, einer für die Dauer eines Jahres amtierenden Ökologie-Botschafterin. Als Pionierin des Wandels versteht sich die Geschäftsführerin des bio verlags aber nicht. „Ich sehe mich als jemand, der etwas anders machen wollte“, sagt Sabine Kauffmann. „Ich bin nicht missionarisch, man muss nicht meinen Weg gehen. Andere Konzepte sind auch in Ordnung – so lange es dabei einigermaßen fair und gerecht zugeht.“

Der bio verlag war Projektpartner im Projekt "IMKoN – Integration von Mitarbeitern als Konsumenten in Nachhaltigkeitsinnovationsprozesse". Hier ging es darum zu untersuchen, inwieweit das private Interesse der Mitarbeitenden für Innovationen im Unternehmen genutzt werden und was daraus entstehen kann. Das Team des bio verlags entwickelte einen mobilen Raum, eine Art Kokon, der als Besprechungsraum, für gemeinsame Mahlzeiten, aber auch für ein Mittagsschläfchen genutzt werden kann. Interessant war für Sabine Kauffmann vor allem, das Design Thinking für Nachhaltigkeit zu erproben, das im ImKon-Projekt entwickelt worden war: „Das ist eine spannende Art, Entwicklungen voranzutreiben – wir haben diese Methode inzwischen mehrfach angewandt“.
Jahr: 
2019