Ausgangssituation und Forschungsfragen
In Deutschland entstehen derzeit vielerorts Initiativen für innovative Wohnformen, wie beispielsweise Bauherrengemeinschaften, junge Genossenschaften oder Baugruppen. Nachhaltigkeit spielt für sie oft eine große Rolle: im Vordergrund stehen soziale Gerechtigkeit, soziokulturelle Vielfalt und Austausch sowie das Ziel, bezahlbaren Wohnraum für mehrere Generationen zu gestalten. Zum anderen betonen diese Initiativen mit dem Wunsch nach umweltfreundlicher Mobilität, Energie- und Ressourceneffizienz ökologische Aspekte. Soziale Innovationen, wie etwa gemeinschaftlich genutzte Angebote und Räume („Nutzen statt besitzen“) und zukunftsweisende Planungsgrundsätze („Stadt der kurzen Wege“) spielen bei der Umsetzung der innovativen Wohnformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Diesen Gemeinschaftsmodellen stehen die etablierten Akteure am Wohnungsmarkt gegenüber: Die Wohnungsbauunternehmen adressieren mit ihren bewährten Wohnkonzepten den Mainstream, kreative Impulse werden bislang kaum aufgegriffen. Ein Austausch zwischen innovativen Wohninitiativen und kommerziellen Akteuren der Wohnungsbaugesellschaften findet kaum statt: Die gemeinschaftlichen Modelle scheinen aus Sicht der Wohnungsunternehmen nicht marktfähig zu sein. Gleichzeitig machen die neuen Wohninitiativen die Erfahrung, dass ihre sozialen Innovationen oftmals ein hohes Engagement erfordern, das dauerhaft privat nicht zu leisten ist. Eine sozial-ökologische Transformation im Bereich Wohnen und Mobilität findet daher derzeit eher in Nischen statt.
Projektziele und zu erwartende Ergebnsise
Das Forschungsprojekt will einen Wissens- und Praxistransfer zwischen den genannten Akteuren anstoßen. Ziel ist es, innovative Ideen gemeinschaftlicher Wohn-und Mobilitätskonzepte für etablierte Wohnungsunternehmen anschlussfähig und wirtschaftlich tragfähig zu gestalten. Das Forschungsprojekt bietet zudem einen Wissenspool an, in dem erfolgversprechende Ideen und Konzepte versammelt sind. Es werden kurz- und mittelfristig tragfähige Geschäfts- und Umsetzungsmodelle erarbeitet, mit denen Wohnungsinitiativen und -unternehmen die Möglichkeiten nutzen können, die sich aus der Verknüpfung gemeinschaftlicher Wohn- und Mobilitätskonzepte ergeben. Als Ergebnis sollen Modelle für die Planung, Entwicklung und Umsetzung gemeinschaftlicher Mobilitäts-und Versorgungsdienstleistungen sowie Flächennutzungen entwickelt und erprobt werden. Diese Modelle werden im Projekt außerdem auf ihre ökonomische Tragfähigkeit und ihre ökologischen und sozialen Wirkungen hin bewertet.
Systematisierung von Geschäftsmodellen und Anwendungskontexten
Um Handlungs- und Innovationsspielräume, Rahmenbedingungen und praktizierte Geschäftsmodelle zu systematisieren und verwertbar zu machen, werden gute Beispiele und bestehende Angebote sowie Organisationsformen der Praxispartner analysiert. Analysedimensionen sind u.a. Modelle in nachfragestarken oder -schwächeren Lagen sowie in Neubau oder Bestand. Auch die Bewohnerstruktur und Zielgruppen werden näher betrachtet. Für Bestandsobjekte werden zudem Verkehrsverhalten und Mobilitätsorientierungen sowie das Wohnumfeld der Bewohnerinnen und Bewohner untersucht.
Umsetzung in Reallaboren
Kernstück des Projektes ist die transdisziplinäre Erarbeitung konkreter Konzepte für ausgewählte Praxis partner. Die Konzepterarbeitung erfolgt in Teams aus den Forschungs- und Praxispartnern. Die entwickelten Maßnahmen und Geschäftsmodelle für Wohnungsund mobilitätsbezogene Dienstleistungen sowie Flächennutzungen werden dann durch die Wohninitiativen bzw. Wohnungsunternehmen vor Ort umgesetzt und wissenschaftlich begleitet (Reallabore).
Bewertung der Nachhaltigkeitswirkungen
Die Erfahrungen in den Reallaboren werden anschließend bewertet. Die umgesetzten Dienstleistungen werden hinsichtlich ihrer ökologischen, sozialen/soziokulturellen und ökonomischen Nachhaltigkeitswirkungen soweit wie möglich empirisch analysiert. Konzepte, die vermarktet werden sollen, werden in Bezug auf die Anschlussfähigkeit an bestehende Geschäftsmodelle und Unternehmensformen eingeordnet und bewertet.
Dr. Jutta Deffner, ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung