Pascal Biesenbach ist Vorstandsmitglied des Vereins „Aufbruch am Arrenberg“ in Wuppertal. Das Ziel der Quartiers-Initiative: einen klimaneutralen Stadtteil zu schaffen – und dabei gleichzeitig die demokratischen Kräfte in der Gesellschaft zu stärken. Neue Ideen für eine Zukunft der Ernährung sind wichtiger Teil des Konzepts.
Als Pascal Biesenbach 2006 nach Wuppertal zog, um an der Bergischen Universität Geschichte und Englisch auf Lehramt zu studieren, dachte er: Bloß schnell wieder weg hier. Die Stadt war arm und nicht sonderlich attraktiv. Doch das sollte sich bald ändern. Verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen machten sich auf, um etwas zu ändern, Dinge anzustoßen in einer Stadt, die von wirtschaftlicher Regression und Leerstand geprägt war. Pascal Biesenbach wurde erst später Teil dieser Bewegung. Während seines Studiums gründete er zunächst gemeinsam mit Kommiliton*innen anderer Universitäten einen gemeinnützigen Verein zur Stärkung ehrenamtlicher Projekte. „Dabei ging es uns um Hilfe zur Selbstwirksamkeit, nach dem Motto: Deine Idee ist unsere Zukunft“, berichtet Pascal Biesenbach.
Da er sich für Teamentwicklung interessierte, machte er nach dem Studium eine Ausbildung für Systemisches Coaching und arbeitete zunächst für verschiedene Unternehmen im Energiesektor. In dieser Zeit begann er auch, sich im Verein „Aufbruch am Arrenberg“ zu engagieren, der 2008 gegründet worden war. „Das Thema Klimaneutralität, das sich der Verein auf die Fahnen geschrieben hatte, fand ich spannend – als neuen gesellschaftlichen Entwurf, aber auch wegen der technologischen Fragestellungen“, so Biesenbach. 2016 bekam der Verein den Zuschlag für die Beteiligung an einem Forschungsprojekt, bei dem es um den Energieverbrauch von Privathaushalten ging, und brauchte jemanden für die Projektleitung. „Das passte natürlich perfekt“, so Biesenbach.
Aus eigener Kraft etwas gegen die Abwärtsspirale tun
Zu diesem Zeitpunkt wohnte er selbst seit zwei Jahren im Quartier. Der Arrenberg, westlich des Hauptbahnhofs von Wuppertal gelegen, war lange Zeit ein „Problemviertel“, mit hoher Arbeitslosigkeit, Gebäudeverfall und Parallelgesellschaften. Dann beschlossen die Arrenberger etwas gegen die Abwärtsspirale zu tun. Der Verein „Aufbruch am Arrenberg“ war die Keimzelle einer Bewegung, die sich auf die Fahne geschrieben hatte, die Zukunft des Viertels in die Hand zu nehmen und positiv zu wenden: „Mit neuen Ideen, Eigeninitiative und gegenseitiger Inspiration werden Entwürfe zu einem besseren Miteinander entwickelt und umgesetzt“, beschreibt die Website des Vereins die eigene Vision.
Pascal Biesenbach formuliert das etwas bodenständiger: „Die Leute hier sind im positiven Sinne bekloppt, das hat mir sofort gefallen“, sagt er. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden, also nicht mehr CO2 auszustoßen, als durch Maßnahmen im Viertel kompensiert werden, etwa durch dezentrale Stromerzeugung sowie Gemüse- und Futtermittelanbau. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, hat er zahlreiche Vorhaben angestoßen, die in den Bereichen Mobilität, Energiewende und Ernährung verankert sind. Zum Beispiel das Projekt „Virtuelle Kraftwerke“, für das Pascal Biesenbach eingestellt wurde: Strom kommt immer woanders her. Aus Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerken. Aus Wind-, Wasser oder Sonnenenergie. Mal ist er demnach dreckiger, stinkender und schadet dem Klima mehr. Mal ist er aber auch sauberer, grüner und klimafreundlicher. Hier setzt das Projekt an. Alle ca. 600 Teilnehmenden Haushalte in Wuppertal, davon knapp 100 am Arrenberg, haben einen zweiten Stromzähler im Keller. Er misst nicht nur die Verbrauchsmenge, sondern auch den genauen Zeitpunkt. Dadurch erfahren die Teilnehmenden jederzeit, wie viel Strom sie gerade verbrauchen. Die Stadtwerke berechnen für jeden Tag das“ Energiewetter“. Es zeigt wie auf einer Ampel an, wann der Strom im Netz eher schmutzig und klimaschädlich ist (Rote Phase) oder eher sauber und klimaschonend (Grüne Phase). Die Idee: Die Teilnehmenden verbrauchen möglichst dann Strom, wenn er vor allem regenerativ und regional produziert wird. Flexibler Stromverbrauch kommt ohne Verzicht aus und ist trotzdem klimafreundlich.
Eine bessere CO2-Bilanz – und Hilfe zur Selbstwirksamkeit
„Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Strom ein naturabhängiges Gut ist und den Verbrauch möglichst in weniger ‚schädliche‘ Phasen lenken“, erklärt Pascal Biesenbach. Dabei geht es um mehr als ‚nur‘ die CO2-Bilanz: Den Menschen in der Nachbarschaft werde bewusst, dass sie Handlungsmöglichkeiten haben. „Selbstwirksamkeit“ nennt Pascal Biesenbach das, und es ist ihm sehr wichtig.
Auch die Projekte im Bereich Ernährung, die der Verein verfolgt, sind ehrgeizig und innovativ. Dabei entwickeln sich manche Ideen aus Vorläufer-Projekten, so wie bei der Arrenbergfarm. Vor drei Jahren schlug eine Mitarbeiterin des Vereins vor, eine Aquaponik-Anlage auf den Arrenberg zu holen: Fisch sowie Tomaten, Paprika und Salat werden in einem Kreislaufsystem gezüchtet. Binnen zehn Tagen hatte der Verein die Anschaffungskosten in einer Spendenkampagne eingesammelt. Die Farmbox, wie Pascal Biesenbach und sein Team die Anlage nannten, wurde an einer Arrenberger Einkaufsmeile direkt vor dem Supermarkt aufgestellt, „als sinnfälliges Beispiel, wie man Lebensmittel in der Stadt produzieren und gleichzeitig Klimaschutz praktizieren kann“, so der Projektmanager. Die produzierten Fische und das Gemüse werden bei gemeinsamen Kochevents verarbeitet und auch schon mal zum Testessen herausgegeben, der Verkauf lohnt wegen der geringen Mengen nicht.
Auf der Arrenbergfarm sollen Lebensmittel nachhaltig erzeugt werden
Doch Pascal Biesenbach fragte sich: Geht das nicht auch ‚in groß‘ – und so, dass eine Vermarktung von Fisch und Tomaten zu bezahlbaren Preisen möglich wäre? Die Idee zur Arrenbergfarm war geboren. Entwickelt wird hierzu ab Herbst 2019 die Blaupause eines urbanen Farmmodells mit Produktionskreislauf und Verarbeitungsprozessen für alternative, ökoeffektive Nahrungsmittelangebote. In Bezug auf die Produktion soll das Projekt möglichst viele Potenziale zur Parallel-, Re- oder Mehrfachnutzung der im System verwendeten Ressourcen ermitteln. Außerdem werden Akzeptanzfaktoren für Lebensmittel mit alternativer Produktionsform, etwa Aquaponik, und alternativer Rohstoffbasis, zum Beispiel Insekten, bei Verbraucher*innen erforscht. Die Arrenbergfarm soll den Produktionskreislauf von Nahrungsmitteln so gut es geht schließen, vermeintliche Abfallprodukte verwerten und Transportwege einsparen.
„Hindernisse dominieren bei unserer Arbeit“
Andere Vereinsprojekte zur nachhaltigen Ernährung sind – zumindest im Moment – zurzeit wichtiger für den Alltag der Arrenberger, zum Beispiel das Foodsharing: Mittwochs und freitags werden bei den Arrenberger Supermärkten Lebensmittel eingesammelt, die dort im Müll gelandet wären. „Das sind meistens zwei Dutzend große Kisten, die wir hier in unseren Räumen auspacken“, sagt Pascal Biesenbach. Jede*r kann vorbeikommen und Lebensmittel mitnehmen oder selbst vorbeibringen, was in der eigenen Küche zu viel ist, zum Beispiel, weil ein Urlaub vor der Tür steht. Reste, die nicht weggehen, werden in einem öffentlich zugänglichen Kühlschrank bereitgestellt.
Als Pascal Biesenbach nach Schwierigkeiten gefragt wird, lacht er. „Hindernisse dominieren bei unserer Arbeit“, gibt er offen zu. Da wären zum einen die verschiedenen Akteur*innengruppen: Auf der einen Seite bildungsbürgerliche „Ökos“, auf der anderen Bürger*innen aus anderen Kulturen oder sehr arme Menschen, die andere Probleme haben als die Frage, ob ihr Essen regional und bio angebaut wurde. Die an einen Tisch zu bringen, sei enorm schwierig und nehme viel Zeit in Anspruch.
Schwierigkeiten bereitet oft auch die Gesetzeslage. Beispielsweise beim Thema dezentrale Stromerzeugung, einem Teilaspekt von Pascal Biesenbachs Projekt. An den Häusern, die an das Netz angeschlossen werden sollen, müssten bauliche Änderungen erfolgen, die jedoch den Denkmalschutz-Auflagen widersprechen. Biesenbach gelang es, einen Kompromiss auszuhandeln, bei dem den Gebäuden möglichst wenig geschadet wird. „Drei Jahre lang haben wir auf allen Ebenen verhandelt, mit der Baubehörde, dem Umweltministerium und der Denkmalschutzbehörde“, erinnert er sich. Am Ende einigte man sich auf ein Modellvorhaben, für das die Gesetzeslage novelliert werden musste. „Das war ein gutes Signal, auf dem Weg dahin sind uns aber viele Leute, die bei der dezentralen Stromerzeugung mitmachen wollten, abgesprungen“, bedauert der Projektmanager.
Drei neue Stellen geben dem Verein mehr Handlungsmöglichkeiten
Mittlerweile betreut „Aufbruch am Arrenberg“ rund 30 Projekte, die rein ehrenamtlich betrieben werden. Dieser Erfolg hat auch Nachteile: Den Überblick zu behalten, gelingt kaum noch, sagt Pascal Biesenbach, es entstünden Wissenslücken und Frust bei Freiwilligen, die sich nicht ausreichend eingebunden fühlen. „Wir sind an die Grenzen des Ehrenamts gestoßen“, fasst er zusammen. Deswegen gibt sich der Verein derzeit eine neue Struktur und will sich weiter professionalisieren, unter anderem indem drei halbe Stellen für Verwaltung und Fundraising, Kommunikation/Quartiersmanagement und Projektentwicklung geschaffen wurden. Finanzieren kann der Verein diese Jobs über eine Großspende von der Deutschen Postcode-Lotterie.
Derweil interessieren sich auch andere Städte für das, was am Arrenberg passiert. „Wir haben immer wieder Besucher aus den Bereichen Wissenschaft oder Kommunalpolitik“, berichtet Pascal Biesenbach. Der Arrenberg ist ein Vorreiter, das Quartier wurde unter anderem von der Klimaexpo NRW als eines der wichtigsten Klimaschutzprojekte des Bundeslandes ausgezeichnet. Dabei reicht die Wirkung eines Vereins wie „Aufbruch am Arrenberg“ in mehrfacher Hinsicht über das Kommunalpolitische hinaus – sie hat auch eine demokratiefördernde Dimension, findet Pascal Biesenbach: „Menschen müssen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit haben. Unterstützt man sie darin, befördert man auch die demokratischen Kräfte in der Gesellschaft“, erklärt er.
Warum das ausgerechnet in Wuppertal so gut funktioniert hat? „Hier gab es eine sehr unschöne und dadurch gute Ausgangslage“, sagt Pascal Biesenbach trocken. Gleichzeitig sei die Stadt mit ihren gut 350.000 Einwohner*innen groß genug für eine fruchtbare Kulturszene, aber auch klein genug für eine funktionierende Netzwerkbildung gewesen. Durch die Universität und vor allem das Wuppertal Institut waren zudem akademische Player vor Ort, die als Treiber von Nachhaltigkeitsbewegungen agierten. So hat sich Wuppertal seit 2006, als Pascal Biesenbach zum Studieren kam, enorm gewandelt. „Die Stadt hat einen starken Pulsschlag entwickelt, auch in Sachen Kunst und Kultur, und zwar aus bürgerschaftlichem Engagement heraus – das ist Wahnsinn“, schwärmt er. Schnell weg aus Wuppertal will Pascal Biesenbach schon lange nicht mehr.