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Mit Brot das Gemeinwohl fördern
Christoph Deinert Foto

Christoph Deinert ist seit zehn Jahren Geschäftsführer der Biobäckerei Märkisches Landbrot in Berlin. In der Biobranche ist die Lieferbäckerei gut bekannt – auch wegen ihrer Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeitsmanagement. Inzwischen ist das Unternehmen auch Gemeinwohl-zertifiziert. Der Quereinsteiger Deinert erklärt, was das für die Lieferbäckerei bedeutet und was sie anders machen.

Christoph Deinert kam als externer Experte zum „Landbrot“, wie im Unternehmen alle ihren Arbeitgeber abkürzen. Als Leiter eines Ingenieurbüros betreute er Nachhaltigkeitsprojekte, darunter auch solche, die öffentlich gefördert wurden. Märkisches Landbrot war eines dieser Projekte. Damals begleitete er den Umzug des Traditionsunternehmens, welches 1930 gegründet wurde, an ihren neuen Standort in Berlin-Neukölln. Christoph Deinert kümmerte sich dabei vor allem um die Energieeffizienzmaßnahmen, mit denen der neue Standort umgerüstet wurde.

Mit innovativer Regenwassernutzung, Photovoltaik auf dem Dach, EMAS-Zertifizierung und zunächst einem eigenen Blockheizkraftwerk galt die Bäckerei als Vorreiterunternehmen – und hat diesen Status bis dato nicht eingebüßt. „Ich war zunächst der Haus-und-Hof-Ingenieur vom Landbrot, kümmerte mich um das Umweltmanagement und die Ökobilanz und wuchs dann immer mehr in das Unternehmen rein. Darüber bin ich sehr froh, denn es gibt nur wenige Unternehmen, die für eine wirklich nachhaltige Produktion Geld ausgeben wollen“, berichtet Deinert. Insgesamt 1.900 Tonnen Getreide verarbeitet die Lieferbäckerei im Jahr. 8.000 bis 9.000 Brote werden mit dieser Menge pro Tag hergestellt.

Konsequente Regionalität

Ein besonders wichtiges Kriterium beim Einkauf ist für Märkisches Landbrot Regionalität – neben Qualität und Demeter-Bewirtschaftung. Das Getreide stammt größtenteils von landwirtschaftlichen Betrieben in Brandenburg. Die Vollkornmehle werden in einer eigene Mühle gemahlen. Die sogenannten Auszugsmehle für helle Brote und Brötchen kommen aus einer regionalen Partnermühle. Auf diesem Wege will die Bäckerei nicht nur eine regionale Verarbeitung und damit kurze Transportwege und regionale Wertschöpfung sicherstellen, sondern auch die Qualität. „Regionalität ist uns wichtiger als der Preis“, so Deinert. Landwirt*innen, die das Berlin-Brandenburger-Siegel Fair & Regional tragen, werden daher von Deinert und seinem Team bevorzugt. Wenn die entsprechenden Betriebe nicht genug Getreide liefern können, werden zunächst andere Demeter-Betriebe aus Brandenburg angefragt und dann aus Sachsen, Polen, gegebenfalls aus anderen Teilen Deutschlands und notfalls Landwirt*innen aus anderen EU-Ländern. „Zu Zeiten, als der brandenburgische Oderbruch eine Überflutung erlitt oder Deutschland eine Dürre erlebte, war unser Einzugsgebiet größer, aber zu 80 bis 100 Prozent stammt unser Getreide aus Brandenburg“, so Deinert.

Nicht nur der Einkauf, auch das Liefergebiet von Märkisches Landbrot soll regional sein. Beliefert werden aktuell 280 kleine Filialen und Bio-Supermärkte, größtenteils in Berlin und Brandenburg. Die Brote lassen sich aber auch in Dresden und auf Rügen finden – eine Ausnahme für Deinert: „Aus ökologischen Gründen lassen wir dies nur zu, wenn der Transport über andere Fuhrunternehmen gesichert ist, die die Konsumierenden ohnehin anfahren, wie zum Beispiel Großhändler“. Einen weiteren Standort, von dem aus sie regional ausliefern, plant Märkisches Landbrot nicht: „Wir wollen keine Machtkonzentration, sondern eher ein Netzwerk unabhängiger, kleiner regional wirtschaftender Bäckereien.“

Die Landwirt*innen sagen, was fair ist

Jeden Sommer kommen alle Lieferant*innen, Demeter-Bäcker*innen Berlins und Märkisches Landbrot zum „Runden Tisch Getreide“ zusammen und besprechen das vergangene Jahr. Das Besondere: Abgestimmt werden dann auch die Preise. Die landwirtschaftlichen Betriebe berechnen die Kosten, die ihnen für faire Arbeitsbedingungen und -entlohnung entstehen. Für den Runden Tisch ist diese Herangehensweise sinnvoller, als sich am oberen Preissegment der Marktpreise für Demeter-Getriede zu orientieren wie vorher üblich. Dies ergab aus Gründen der zunehmenden Spekulationshöhen und -tiefen auf dem Getreidemarkt aus Sicht der landwirtschaftlichen Betriebe und Bäckereien keinen Sinn mehr. Die Demeter-Bäckereien zahlen den Landwirt*innen überdurchschnittlich viel – wie viel genau, legt Märkisches Landbrot auf ihrer Internetseite offen. Die hohen, viele sagen angemessenen, Einkaufspreise machen sich natürlich auch bei den Brotpreisen bemerkbar. Doch für Deinert überwiegen die Vorteile: „Wir wirtschaften fair und wir sehen uns als Vetretende der Landwirt*innen. Schön ist auch, dass die erst einmal uns beliefern wollen, bevor sie an andere verkaufen. Für uns bleiben daher die besten Qualitäten, bei etwa gleichbleibenden Preisen.“ In einer anonymen Abstimmung des Vereins fair & regional Bio Berlin Brandenburg des Märkischen Wirtschaftsverbundes bestätigen die landwirtschaftlichen Betriebe regelmäßig, dass Märkisches Landbrot fair handelt. Widespräche dem nur ein Betrieb, dürfte die Bäckerei das fair & regional-Siegel nicht mehr tragen. Vorgekommen ist dies noch nie.

Wenn Deinert über das Wirtschaften von Märkisches Landbrot spricht, wirkt er sowohl stolz als auch traurig: „Wir sind nicht uneinholbar, aber die Anreize sind von politischer Seite kaum oder falsch gesetzt. Im Bereich Umweltmanagement setzten wir bereits vor 20 Jahren auf die Eco-Management and Audit Scheme (EAMS)-Zertifizierung der Europäischen Union, viele andere Unternehmen sind aber nicht nachgekommen. Hier könnte auch die öffentliche Beschaffung viel machen – bei uns im Ernährungssektor etwa die Kantinen.“

Die Gemeinwohlökonomie-Zertifizerung ist streng

Christoph Deinert und seinem Team reichten die bisherigen Zertifizerungen nicht. Um einen Schritt weiterzugehen, beschloss das Unternehmen, Märkisches Landbrot als Bilanzierendes Unternehmen der Gemeinwohlökonomie zu führen. Damit verpflichten sie sich, dem Gemeinwohl zu dienen und nicht auf Gewinnmaximierung aus zu sein. „Das erlaubte uns die Überprüfung unseres Betriebs und den branchenübergreifenden Vergleich – und da gibt es immer wieder einige Überraschungen“, berichtet Deinert.

Ergebnis dieser Gemeinwohlbilanz ist eine Punktzahl, anhand derer sich das Unternehmen mit völlig anderen gemeinwohlökologisch orientierten Firmen vergleichen lässt, etwa der Tageszeitung taz. „Wir sehen diese Bilanzierung als Stakeholder-Dialog: Wir messen uns an den Kriterien der Gesellschaft und erklären, warum wir in einigen Bereichen gut abschneiden und in welchen Handlungsfeldern wir nicht gut sind.“ Während das Unternehmen bei den Kategorien „Sinn und gesellschaftliche Wirkung der Produkte“ und „Gemeinwohlorientierte Gewinnverteilung“ etwa sehr gut abschließt, ist die Punktzahl bezüglich der „Innerbetrieblichen Demokratie und Transparenz“ eher schlecht.

Das liege daran, dass es keine Eigentumsanteile in Mitarbeiterhand gibt, erklärt Deinert. Joachim Wegmann, ebenfalls Geschäftsführer, ist alleiniger Eigentümer und will das Unternehmen perspektivisch in eine Stiftung oder etwas Ähnliches überführen. Demokratische Werte wie Mitbestimmung sind der Geschäftsleitung dennoch wichtig. Ein Betriebsrat existiert seit 1996. Zusätzlich gibt es unterschiedliche thematisch organisierte Austauschrunden mit allen Mitarbeitenden, auch mit der externen Logistik und großen Kunden.

Welche Rolle haben Pioniere wie das Märkische Landbrot?

Als Demeter-Unternehmen, als eines der ersten EMAS-zertifizierten Betriebe und als Gemeinwohl-orientierte Firma: Das Märkische Landbrot ist seit Jahren Vorreiter in Sachen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Zum einen wollen sie es sein, aus intrinsischer Motivation. Zum anderen müssen sie es sein – in Zeiten, in denen es Bio-Produkte in beinahe jedem Supermarkt gibt, um sich von der wachsenden Bio-Konkurrenz abzuheben, indem sie noch etwas konsequenter sind.

Für eine nachhaltige Transformation des Lebensmittelmarktes braucht es wohl beides: Die Anbieter, die „Bio“ in den Mainstream bringen, und die Pioniere, die unaufhörlich versuchen, ihre Wertschöpfungsketten zu verbessern, indem sie diese regionalisieren, ökologisch wirtschaften und für faire Bezahlung sorgen.

Christoph Deinert war mit dem Unternehmen „Märkisches Landbrot“ Projektpartner im NaWi-Projekt „Gemeinwohl-Ökonomie im Vergleich unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategien“ (GIVUN). Er wurde neben zehn weiteren Betrieben, die im Bereich Gemeinwohl-Ökonomie aktiv sind, dazu befragt, wie sich seine Art des Wirtschaftens auszeichnet, welche Hemmnisse und Hindernisse es gibt und welche Strategien verfolgt werden. „Christoph Deinert ist für uns ein Change Agent, weil er sich auf der Basis eines bereits sehr hohen Niveaus fortwährend bemüht, die unternehmerische Praxis von Märkisches Landbrot noch ökologischer und sozialer zu gestalten", sagt Bernd Sommer, Leiter des Projekts GIVUN.
Jahr: 
2019