hintergrundbild
Die Milch-Revolution aus dem Norden
Hans Möller
Copyright: Emanuel Herm

Hans Möller ist Milchbauer in Schleswig-Holstein. Er wirtschaftet streng nach Öko-Richtlinien, gilt deswegen in seinem Dorf als Spinner – und macht mit seinem Konzept zur Produktion und Vermarktung artgerechter Milch mittlerweile über die Region hinaus Furore. Seine Geschichte zeigt, dass sich mit nachhaltigen Bewirtschaftungs-modellen in der Landwirtschaft gutes Geld verdienen lässt.

Der Hof von Hans und Annette Möller im schleswig-holsteinischen Lentföhrden wirkt unscheinbar: ein schmuckloser Ziegelbau, rechts geht es zu den Ställen; vorgelagert ist ein weißgetünchter Flachbau, an dem ein kleiner Kühlschrank angebracht ist. Darin befinden sich zwei Produkte, in die seit sieben Jahren das Herzblut von Hans Möller fließt: Milch und Joghurt von „De Öko Melkburen“. Wer vorbeikommt und passendes Kleingeld hat, kann sich hier versorgen. Die Produkte der von Möller mitgegründeten Marke sind aber auch in vielen regionalen Bio- und Supermärkten erhältlich, etwa in Hamburg. Etwa 500.000 Liter Milch jährlich geben die Kühe des Milchbauern und seiner zwei Mitstreiter. Nächstes Jahr kommt ein neuer Landwirt dazu: Die Nachfrage nach den guten Milchprodukten ist inzwischen größer als das, was „De Öko Melkburen“, die Öko-Milchbauern also, liefern können.

Ohne die Umstellung auf nachhaltige Wirtschaft gäbe es Möllers Hof nicht mehr

Bis dahin war es ein weiter Weg. Die Richtung war jedoch von Beginn an klar: Bereits mit 17 Jahren wusste Hans Möller, dass konventionelle Landwirtschaft nicht das Richtige für ihn ist. Da machte er eine landwirtschaftliche Ausbildung in einem Betrieb mit 80 Kühen und 4500 Legehennen. „Ich wusste nach ein paar Wochen: Wenn du mal einen eigenen Hof hast, machst du das anders, tiergerechter, nicht so’n Scheiß“. „Öko“ hatte er dabei noch nicht im Sinn. Er wollte als Landwirt im ursprünglichen Sinne arbeiten, verstehen, wie der Boden funktioniert, seine Tiere artgerecht halten. Auf dem Hof in Lentföhrden war Hans Möller zunächst Pächter. Seine erste Amtshandlung nach der Übernahme: der Antrag auf Ökolandbau. Das war im Jahr 2000, die Nachbarn belächelten ihn als Spinner, seine Kinder wurden in der Schule gehänselt. „Wenn ich mich damals nicht zur Umstellung entschlossen hätte, würde es den Hof heute nicht mehr geben“, sagt Möller trocken. Für Milch gab es wenig Geld, auch Bio-Milch wurde nur mit ein paar Cent mehr pro Liter vergütet. Die Umstellung brachte jedoch tiefgreifende Effekte mit sich, die sich am Ende rechneten. „Mein Ertrag sank zwar erst einmal um ein Drittel. Gleichzeitig musste ich keinen Mineraldünger und kein Kraftfutter mehr kaufen und hatte nur noch selten den Tierarzt auf dem Hof, weil die Kühe gesünder waren als vorher. Der Umsatz war also gesunken, aber die Kosten waren um ein Vielfaches geringer, so dass es sich unterm Strich lohnte, ökologisch zu wirtschaften“, berichtet Möller.

Dieser Aha-Effekt, wie er es nennt, stellte sich nach etwa drei Jahren ein. „Man braucht schon einen langen Atem“, sagt der Landwirt. Und bald zeigte sich, dass weitere Änderungen nötig wurden: Seine Milch lieferte Hans Möller damals an die Molkerei Trittau. Die fusionierte jedoch mit Hansano, einer großen norddeutschen Molkerei, die wiederum bald darauf in Arla aufgehen sollte, einer in Dänemark ansässigen Molkerei-Genossenschaft, heute die siebtgrößte der Welt. „Meine Weidelandmilch wäre einfach in den großen Topf gekommen. Diesen Irrsinn wollte ich nicht mitmachen“, erzählt Möller kopfschüttelnd. 

De Öko Melkburen: Eine Milch, an der Landwirte auskömmlich verdienen

Deswegen gründete der Milchbauer „De Öko Melkburen“, sein Ziel: „Milch so frisch wie möglich regional an den Verbraucher zu bringen und dabei die Landwirte ordentlich zu entlohnen“. Das war 2011. Anfangs waren die „Melkburen“ zu fünft, doch einer der Mitgründer stieg bereits im ersten Jahr wegen abweichender Vorstellungen aus, ein weiterer folgte im zweiten Jahr, er hatte sich entschlossen, wieder auf konventionelle Landwirtschaft umzusteigen.

Mit ihren drei Höfen und insgesamt 120 Kühen schickten sich „De Öko Melkburen“ nun an, den Milchmarkt zu revolutionieren – ein kleines bisschen jedenfalls. Ihre Milch war und ist auch noch heute einzigartig: grasbasierte Fütterung, muttergebundene Kälberaufzucht, eine besonders schonende Verarbeitung, und mit 50 Cent pro Liter eine faire Entlohnung für den Landwirt. Als erstes entwickelten die drei Bauern, basierend auf dieser Grundidee, gemeinsam mit einer Hamburger Agentur die Marke. Milch und Joghurt werden als Vier-Jahreszeiten-Produkte vermarktet und in schön gestalteten Tetra-Paks bzw. Plastikeimerchen an die Verbraucher*innen gebracht. Wegen der über die Jahreszeiten wechselnden Fütterung wechseln auch Farbe und Geschmack der Produkte; das nutzten die „Melkburen“ ebenso wie die übrigen Besonderheiten im Herstellungs- und Vertriebsprozess, um ihre Produkte deutlich von den übrigen Bio-Milchmarken abzuheben. Möllers Milch ist in Bio-Läden und -Supermärkten erhältlich, ein Liter kostet zwischen 1,80 und 2,20 Euro.

Mit wenigen 100 Litern Milch in den Handel

In die Läden zu kommen, war schwierig: Anfangs wollte keiner die gute Weidemilch von Möller und seinen Kollegen. Es gebe doch schon so viel Milch, sagte man ihm. Ein Bio-Großfachhandel aus dem benachbarten Kaltenkirchen nahm die Milch schließlich in das Sortiment auf. „Das waren ein paar 100 Liter pro Monat“, erinnert sich Möller. Das Unternehmen entwickelte sich langsam, aber stetig; inzwischen gibt es die Melkburen-Produkte in 100 Läden zu kaufen.

Um seine Milch in die hübsch bedruckten Tüten zu bekommen, brauchte Hans Möller eine Meierei, die seinen Vorstellungen entsprach: traditionelle Abfüllung nach Bioland-Richtlinien. Er fand die Meierei Horst, gut 20 km von seinem Hof entfernt. Allerdings mussten „De Öko Melkburen“ insgesamt 200.000 Euro in neue Tanks, Leitungen und Pumpen investieren. Die Gesamtinvestition zur Entwicklung der Marke betrug 500.000 Euro; einen Kredit über 200.000 Euro bekamen die Bauern von der Bank, 100.000 Euro musste jeder Milchwirt über den eigenen Hof finanzieren. „Ende 2019 werden wir den Bankkredit ausgetilgt haben“, sagt Hans Möller zufrieden. Profitabel war das Unternehmen bereits im dritten Jahr, als „De Öko Melkburen“ einen ersten kleinen Überschuss erwirtschafteten. „Jetzt sind wir in der Phase, wo wir expandieren wollen und können“, sagt Hans Möller. 2020 wird ein weiterer Betrieb dazu kommen. Dann haben „De Öko Melkburen“ insgesamt 150 Kühe, die im Jahr 750.000 Liter Milch geben.

Mittlerweile haben es „De Öko Melkburen“ zu einiger Bekanntheit geschafft. Ein- bis zweimal die Woche kommen Kund*innen auf dem Hof vorbei, um sich vor Ort zu erkundigen, ob die Milch auch wirklich so entsteht, wie die Marke verspricht. „Ich nehme mir, so es irgend geht, dann auch immer die Zeit, mit den Leuten zu reden, das ist mir sehr wichtig“, erzählt Möller. Er erhält Anrufe aus ganz Deutschland von Bio-Läden, die seine Milch vertreiben wollen. „Denen sage ich immer: ‚Sucht euch ein paar gute Landwirte in eurer Region‘“, berichtet der Milchbauer. Das Vier-Jahreszeiten-Konzept geben die „De Öko Melkburen“ als Lizenz weiter. Aber nur an Landwirte: Molkereien, davon ist Hans Möller aufgrund seiner Erfahrungen überzeugt, geben Margen nicht an die Erzeuger weiter. „Die Landwirte müssen den Hut aufhaben“, sagt er.

So vielversprechend das Konzept der „Öko Melkburen“ ist, Lizenznehmer haben sich bislang noch nicht gefunden. Aktuell ist Hans Möller in Kontakt mit Kollegen in Bayern, „das könnte etwas werden“, sagt er. Eine Umstellung auf Bio-Produktion im hart umkämpften Milchmarkt scheint viele Risiken zu bergen – Hans Möller sagt selbst, es sei pures Glück gewesen, die Meierei Horst zu finden. Neue Meiereien müssen bestimmten EU-Standards entsprechen, die mit der traditionellen Milchproduktion, wie sie bei „De Öko Melkburen“ eingesetzt wird, schwer vereinbar sind.

Regionalwert AG: Fair erzeugte Lebensmittel und eine gesicherte Finanzierung für die Betriebe

Hans Möller genügt es nicht, seine Vorstellungen nachhaltigen Wirtschaftens auf dem eigenen Hof umzusetzen, er will auch den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Deswegen initiierte er die Regionalwert AG Hamburg, die er 2014 mitgründete. Zwei Jahre zuvor war der Landwirt durch einen Zeitungsartikel auf die von Christian Hiß gegründete Freiburger Regionalwert AG aufmerksam geworden und beschloss, es ihm gleichzutun. Die Idee: Verschiedene regionale, ökologisch wirtschaftende Produzent*innen schließen sich zusammen, um mittels alternativer Finanzierungsmodelle in ihre Betriebe zu investieren. Denn eine Bank zu finden, die risikobereit ist und sich auf nicht rein betriebswirtschaftlich ausgerichtete Projekte einlässt, ist enorm schwierig und aufwändig, wie Möller und „De Öko Melkburen“ selbst erfahren mussten. Die Regionalwert AG Hamburg ist eine Bürgeraktiengesellschaft, die alle zwei bis drei Jahre Anteile zu jeweils 500 Euro ausgibt. Bei der letzten Ausgabe Anfang 2019 sammelten die Regionalwertler um Möller 750.000 Euro ein. Das Geld wird genutzt, um etwa neue Mitgliedsbetriebe bei der Umstellung auf ökologische Erzeugung zu unterstützen oder in die Verarbeitung zu investieren.

Außerdem bildet die AG ein Netzwerk, in dem Produzent*innen, Handel, Gastronomie und Großverarbeitung zusammenkommen und unter dem Label Regionalwert AG Produkte in Norddeutschland handeln. Dieses Netzwerk entstand vor anderthalb Jahren. Inzwischen umfasst es 30 Betriebe, und „wir werden immer mehr“, sagt Hans Möller. Produkte wie Gemüse oder natürlich Milch werden in Supermärkten von Niedersachsen bis Mecklenburg-Vorpommern unter dem Label „Regionalwert AG“ angeboten, das eine faire Entlohnung und die Erzeugung nach strengen ökologischen Richtlinien garantiert.

Umstellung auf mehr Nachhaltigkeit: „Betriebswirtschaftlich geht das“, sagt Hans Möller

Der Milchbauer aus Schleswig-Holstein hat für sich und für andere nachhaltig wirtschaftende bäuerliche Betriebe einen Weg gefunden, wie man komplett öko sein kann – und trotzdem gutes Geld verdient. Natürlich musste er Rückschläge einstecken, etwa als das Gründungsteam der „Öko Melkburen“ von fünf auf drei schrumpfte und alle Kosten und Mühen auf nur noch sechs Schultern ruhten. Vergangenes Jahr wurde ein neuer Kredit nötig, um die 50.000 Euro für zusätzliches Kuhfutter zu finanzieren, weil wegen des trockenen Sommers das eigene Gras nicht ausreichte. Dennoch: „Es ist gut und wichtig, etwas zu wagen“, sagt Möller. Sein Tipp: Nicht gleich komplett umstellen, sondern einen bestimmen Bereich herausnehmen, etwas ausprobieren, und vor allem: Geduld haben. Zwei bis drei Jahre dauert es nach Hans Möllers Erfahrung, bis sich die positiven Effekte einer Umstellung einstellen. „Am Ende merkt man aber: betriebswirtschaftlich geht das“, sagt der Milchbauer.

Unter seinen Kollegen in Lentföhrden gilt Hans Möller weiterhin als Spinner. Die übrigen Landwirte im Dorf wirtschaften nach wie vor konventionell; erzählt er ihnen von den Vorteilen einer Umstellung, schenkt man ihm keinen Glauben. Doch die Stimmung im Ort hat sich gedreht. Er habe, erzählt Hans Möller, in den letzten Jahren immer wieder Flächen angeboten bekommen, von Leuten aus dem Dorf, die wollten, dass ihr Grund und Boden „in vernünftige Hände“ kommt. Inzwischen hat er doppelt so viel Land für Weideflächen und Gemüseanbau wie zu Beginn: Nachhaltiges Wirtschaften hat Zukunft, und das gilt sicher nicht nur in Lentföhrden.

Hans Möller war mit seinem Unternehmen „De Öko Melkburen“ Projektpartner im Projekt „Gemeinwohl-Ökonomie im Vergleich unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategien“ (GIVUN). Er wurde neben zehn weiteren Betrieben, die im Bereich Gemeinwohl-Ökonomie aktiv sind, dazu befragt, wie sich seine Art des Wirtschaftens auszeichnet, welche Hemmnisse und Hindernisse es gibt und welche Strategien verfolgt werden. „Hans Möller ist für uns ein Change Agent, weil er vielfältig engagiert ist und Veränderungen anstößt“, sagt Klara-Helene Stumpf, Wissenschaftlerin im Projekt GIVUN.
Jahr: 
2019